Mein Name ist Helene Anschütz, ich bin 38 Jahre alt, verheiratet, Mutter von zwei Töchtern und leide unter verschiedenen chronischen Krankheiten u.a. an Morbus Bechterew. Ich arbeite als Digital Creator, Texterin und Moderatorin.
Ich war noch im Studium und wir suchten verzweifelt nach Ursachen für meine starken Schmerzen im unteren Rücken. Von Köln über Frankfurt bis Darmstadt ging die Ursachensuchungen weiter. Irgendwann kam mein Vater (Internist und Nephrologe) auf die Idee, den Blutwert HLA B27 positiv testen zu lassen, da bereits mein Großvater an einer verwandten rheumatischen Erkrankung litt.
So war sie plötzlich da: eine Diagnose! Der Schock hielt sich damals in Grenzen, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass diese Krankheit mal mein Leben bestimmen würde.
In den kommenden Jahren allerdings gingen ein paar Symptome immer wieder vor und zurück. Versteifungen wurden im MRT als minimal eingestuft und bis zu meiner ersten Schwangerschaft mit 24 Jahren verlief die Krankheit still und ohne besondere Schübe. In der Schwangerschaft begann das Drama: Die ersten Fisteln und Zysten bildeten sich am Steißbein. Einige mussten noch mit Babybauch operativ entfernt werden. Das diffuse Bitzeln am Steißbein blieb bis heute. Erst viele Jahre später kamen die ersten Schübe mit entzündlicher Veränderung in den Gelenken. Da ich als freischaffende Künstlerin mehrere Jahre selten klassische 9 to 5 Büroarbeit leistete, war ich viel unterwegs, sehr aktiv und dadurch lange körperlich sehr fit. 2019 trat ich einen neuen Job an, der mit mehr Büroarbeit verbunden war. Im Winter 2020 begann es mit heftigen Schüben mit erhöhtem CRP und ersten Versteifungen im Steißbein. Nach ersten schlimmen Phasen unter hochdosierten Schmerzmitteln, Unbeweglichkeit und Nächten ohne Schlaf suchte ich eine Rheumatologin auf. Kurz danach begann die Therapie zunächst durch einen Kortisonschub, darauf folgte Benepali Eternacept als Pen einmal wöchentlich und dauerhaft NSAR. Mit zwei Kindern und einem Vollzeitjob am Theater wurde der Zustand immer prekärer und nach zwei Jahren, einer Sportreha, Biologikum und drei IBU800 täglich, musste ich die Reißleine ziehen. Regelmäßig tauchten weitere Zysten auf: am Steißbein, am inneren Beckenknochen, an der Gebärmutter, am Eierstock in der Brust, die oftmals operativ entfernt werden mussten.
Nach der Covid-Infektion im Jahr 2022 ging es steil bergab. Eine weitere Entzündung wütete wie ein Sturm durch meinen Körper. Danach kam eine weitere Diagnose: Acne Inversa. Eine entzündliche Hauterkrankung, die bei mir vor allem an Oberschenkeln, Bauch und Bikinizone auftaucht. Von eitrigen Stellen, die aufgeschnitten und behandelt werden mussten, bekam ich dann noch eine Venenthrombose, die mich ans Bett fesselte. Eher unpassend für eine Patientin mit chronischem Rückenleiden.
Eine Autoimmunerkrankung kommt ja bekanntlich selten allein- so setzen sich nach Jahren mit neuen Diagnosen einige Puzzlestücke zusammen: Seit meinem 2. Lebensjahr litt ich an Neurodermitis, mit 13 folgten heftige Migräneattaken mit Aura und Übelkeit. Die Liste an chronischen Erkrankungen wurde immer länger. Vieles davon passt aber lehrbuchartig zusammen und erklärt mir täglich mehr über mich und meine Beschwerden.
Seit Oktober letzten Jahres habe ich – nach weiteren Verknöcherung im Gelenk- den Kreislauf durchbrochen und mich auf unbestimmte Zeit krankschreiben lassen, war in stationärer Reha und habe mein Leben umgekrempelt. Gesünder leben und Druck rausnehmen! Für mich bedeutete das eine große Umstellung: keine täglichen Termine außer Krankengymnastik, Psychotherapie und Bewegung. Nur noch Verantwortung für meine Kinder, meinen Körper und mich. Zunächst tat es nicht nur körperlich weh. Ich definiere mich (seit ich ins Berufsleben einstieg mit Anfang 20) darüber, was ich tue. Habe eine starke Meinung, den Drang mich mitzuteilen und glaube an mich und meine Fähigkeiten. Da war die Ablösung von einem sehr erfüllenden Job mit viel kreativem Output und Verantwortung ein großer Einschnitt.
Ich denke, die größte Herausforderung ist die Akzeptanz. Die Krankheit nicht nur an zu nehmen, sondern auch danach zu leben. Nicht mehr dagegen anzukämpfen, krampfhaft nach jedem Strohalm zu greifen, der einem Heilung verspricht. Heilung nicht mehr als Ziel zu sehen, sondern zu verstehen, dass es nur Linderung, Remission oder einen tragbaren Ist-Zutand gibt.
Ich habe mehrere Jahre verdrängt wie krank ich bin. Bin im dreimonatigen Rhythmus umgekippt, im Krankenhaus gelandet, habe mich wieder hochgepäppelt und weitergemacht. Bis zum nächsten Crash. Erst nach drei Jahren dieses Karussells, habe ich verstanden was die Krankheit von mir will: Karussell anhalten!
Ich habe gekündigt und mir mehr als zwei Monate mit Reha und Sport gegönnt. Erst nach sechs Monaten Auszeit kamen die ersten Erkenntnisse und ich arbeite noch immer daran.
Ich bin sehr offen! Ich spreche seit über einem Jahr öffentlich (vor allem auf Instagram aber auch auf Panels, im Fernsehen) über meine Erkrankungen und den Alltag damit. Seitdem ich mit der Öffentlichkeit spreche, nehme ich mich und die Beschwerden ernster, lerne Pausen einzuplanen und habe akzeptiert, dass diese Diagnosen zu mir gehören.
Ich habe meinen Vollzeit-Job am Theater vor knapp einem Jahr aufgegeben. Seitdem arbeite ich vor allem im Homeoffice als Digital Creatorin, mache Inhalte fürs Netz für mich und für andere. Derzeit liegt mein Schwerpunkt bei der Aufklärung über chronische Krankheiten und den Umgang in unserer Gesellschaft damit.
Außerdem spreche ich auf Panels, drehe Videos über Gendermedizin und blogge auf www.allabouthelene.com
Sich diese Auszeit und das Krankengeld für eine gewisse Zeit zu gönnen, war kein einfacher Gedanke. Einen festen und guten Job aufzugeben war eine sehr schwierige Entcheidung, die nicht nur mit finanziellem Anspruch zutun hat. Wir bekommen sooft signalisiert, dass wir kein echter Teil unserer Gesellschaft sind, wenn wir nicht Teil des Leistungsteams sind.
Regelmäßig wurde ich schief angeschaut weil ich äußerlich ja weder schwer krank noch beeinträvhtig bin und warum ich denn nicht arbeiten könne?! Mit diesen Vorurteilen umzugehen, macht es vielen Betroffenen so schwer, darüber öffentlich und ehrlich zu sprechen.
Ein anderer Fakt ist außerdem Teil des Problems: Die meisten Menschen haben keine Ahnung, wie es sich mit Rheuma lebt, kenne viele chronische Erkrankungen nicht und können sich nicht vorstellen mit welchen Beschwerden wir täglich umgehen müssen.
Genau das, möchte ich ändern, indem ich aufkläre und damit den vielen so unbekannten chronischen Erkrankungen ein Gesicht gebe!
Vertraut Euch an, redet über Eure Erkrankungen. Sucht Euch Foren, Gruppen und andere Betroffene. Der Austausch mit anderen Betroffenen ist so viel Wert. Zu wissen, dass die anderen genau wissen wovon ich spreche, ich so vieles nicht erklären muss und wir gemeinsam hassen und lachen können, tut so gut!
Ich wäre gern gesund. Punkt.
Doch es gab in meiner Auszeit endlich mal Zeit für mich. In der Reha hatte ich soviel Ruhe, wie ich sie seit meiner Schulzeit nicht mehr hatte. Ich habe auf Pause drücken dürfen und hatte Zeit mir Gedanken zu machen, wie mein Leben aussehen könnte, was mir wichtig ist und wer ich – trotz Rheuma – sein möchte. Diese Chance bekommen die wenigsten.
Mein Tipp: fragt Euch, was kann und will ich – trotz Rheuma – in meinem Leben tun. Wer kann und will ich sein. Ich werde sicherlich keine Profitennisspielerin mehr aber ich kann schreiben, humorvolle Videos drehen und andere Menschen unterhalten. Daraus lässt sich vielleicht etwas machen...
Ich mache noch immer Witze über mich!
Die Diagnose zu bekommen war für mich ein Geschenk. Ich finde dies öffnet nicht nur die Augen, sondern auch die Türen zu Fachpersonal.
Die richtigen Begleiter*innen im medizinischen Bereich zu finden kann eine sehr erschwerliche Angelegenheit sein. Ich habe erst vor einem Jahr einen Rheumatologen gefunden, der die ganze Krankheit und in mir einen ganzen Menschen sieht. Ebenso erst seit einem Jahr eine Physiotherapeutin, deren Behandlung mir wirklich hilft. Eine Hausärztin, die mich im Schub an einen Novalgintropf hängt, obwohl Novalgin gar nicht unbedingt im Behandlungsplan steht, es mir aber hilft. Dass ich im Schub Pommes brauche und sie mir guttun und ich mittlerweile Übungen kenne, die mir wirklich Linderung verschaffen, hat gedauert. Aber verzagt nicht, habt Geduld mit Euch, jeder findet irgendwann etwas, dass hilft!
Vorsicht ist nach wie vor geboten, sobald man das Internet öffnet. Ich persönlich google sehr selten, da im Netz so viel unqualifiziertes Wissen aufploppt, das Menschen Angst oder noch kränker macht. Es gibt natürlich auch seriöse Quellen im Netz, die einem im Alltag helfen können. Hierbei lohnt es sich, Fragen immer zu notieren und dann dem Fachpersonal stellen. Auch in der Literatur findet sich toller Input von z.B. prominenten Betroffenen oder zahlreiche informative Sachbücher.
Zum Schluss: Lasst Euch nicht entmutigen oder von mir zu sehr beeindrucken. Mein Weg war kein leichter und er ist noch lange nicht beendet. Dazu kommt, ich bin eine Rampensau und genieße die Aufmerksamkeit von 10.000 Followern. Ich verstehe, dass das vielen zu privat, zu extrovertiert vorkommt– so mache ich es eben gern – ich empfehle Euch trotzdem, Euch mitzuteilen. Es gibt ja nicht nur Instagram. Überall finden wir Selbsthilfegruppen, Foren oder Rehaplätze, wo wir Betroffene uns treffen und austauschen können. Es tut gut und hilft!